Ernährung im DMP: Was ist geeignet und sinnvoll?

 

In Deutschland leben 7,6 Million Diabetiker. Damit gehört Deutschland zu den weltweit zehn Ländern mit der höchsten absoluten Anzahl an Menschen mit Diabetes mellitus (1, 2). 95 % der Menschen mit Diabetes leiden an einem Typ 2 Diabetes, welcher mit Übergewicht und mangelnder Bewegung assoziiert ist (3). In Deutschland sterben immer noch stündlich drei Menschen an Diabetes, 40.000 Amputationen und 2.000 Neuerkrankungen pro Jahr, 3.000 Neuerblindungen sowie weitere 2.300 neue Dialysefälle pro Jahr gehen auf Diabetes zurück (4). Von 1998 bis 2011 ist die Zahl der an Diabetes Erkrankten um 38 % gestiegen (Robert-Koch-Institut).

 

Was ist Schuld an dieser Diabetes-Epidemie?

Etwa 60 % der Deutschen sind übergewichtig, etwa 20 % sind adipös, Tendenz steigend (5).
Neben Übergewicht, insbesondere Adipositas, ist Bewegungsmangel ein entscheidender Promotor für die Entstehung einer muskulären Insulinresistenz. Wurde bisher eine fettreiche Ernährung für den Kalorienüberschuss und die Entwicklung einer Adipositas verantwortlich gemacht, so rückt jetzt immer mehr eine dem zunehmenden Bewegungsmangel nicht angepasste übermäßige Kohlenhydratzufuhr in den Fokus. Dies unterstreichen immer mehr internationale Studien der letzten Jahre, welche die Effektivität einer Reduktion der Kohlenhydrate (auch der sogenannten „komplexen“ Kohlenhydrate) im Austausch gegen hochwertiges Eiweiß belegen (6,7).

 

Diesem Paradigmenwandel trägt auch die neue S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ (DAG, DGE, DGEM, DDG) Rechnung, indem in Stufe 1 der Therapie die Reduktion von Fetten oder Kohlenhydraten und in Stufe 2 die Reduktion von Fetten und Kohlenhydraten empfohlen wird (8).

 

Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) Therapie des Typ-2-Diabetes

Die aktuelle Nationale Versorgungsleitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes (9) trägt der veränderten Datenlage Rechnung, da sie als Ziel der Ernährungstherapie ein wünschenswertes Körpergewicht bzw. eine Gewichtsreduktion anstrebt und eine erneute Gewichtszunahme vermieden werden soll. Dabei sollte (Abs. 5-10) die Wahl der Kostform individuell getroffen werden, da keine ausreichenden Studiendaten für eine Empfehlung vorliegen. Diese Aussage ist umso bemerkenswerter, da bisher vorwiegend eine Fettreduktion im Austausch gegen komplexe Kohlenhydrate empfohlen wurde, was aber aufgrund der aktuellen Datenlage nicht mehr haltbar ist. Deshalb wird unter Punkt 5-11 zu Recht darauf hingewiesen, dass Menschen mit Typ 2 Diabetes ohne Insulintherapie vermittelt werden sollte, die Plasmaglukose erhöhenden Nahrungsmittel erkennen zu können. Hierbei handelt es sich um ballaststoffarme Kohlenhydrate, welche dann entsprechend bei Bewegungsmangel zu reduzieren sind.

 

Patienten, „die Insulin spritzen“ wird empfohlen, die Art und Menge der Kohlenhydrate der jeweiligen Mahlzeit als wesentliche Strategie zur Glykämiekontrolle einzusetzen. Dabei sollten Begrifflichkeiten wie einfache und komplexe Kohlenhydrate in diesem Zusammenhang besser durch ballaststoffarme bzw. ballaststoffreiche Kohlenhydrate ersetzt werden. So handelt es sich bei der Stärke um das komplexeste Kohlenhydrat überhaupt, welches jedoch aus einer Verknüpfung von Glukosemolekülen besteht, welche im Dünndarm dann entsprechend aufgespalten werden und zu einem starken Blutzuckeranstieg führen. Ballaststoffreiche Kohlenhydrate werden indessen deutlich langsamer aufgenommen und führen neben einem geringeren Blutzuckeranstieg („area under the curve“) auch zu einer deutlich besseren Sättigung. Zudem sind Ballaststoffe für die Mikrobiota des Darms essenziell.

 

Ausgiebige Studien wurden bezüglich der Art der Kohlenhydrate und des glykämischen Index durchgeführt, aber die größte Evidenz fand sich durch eine Reduktion der Gesamtkohlenhydratzufuhr unter 40 % der Energie. Dies war am effektivsten zur Verbesserung der glykämischen Kontrolle bei Typ 2 Diabetes und metabolischen Syndrom (10). Diese Reduktion von Kohlenhydraten im Austausch gegen Protein verbessert die glykämische Kontrolle, gemessen als reduzierte postprandiale Hyperinsulinämie und reduziert bei Typ 2 Diabetes Hyperglykämie und HbA1c (11).

 

Die NVL „Therapie des Typ 2 Diabetes“ empfiehlt daher Diabetikern eine Eiweißzufuhr von 10 bis 20 % der Gesamtenergie (5-13), lediglich bei Niereninsuffizienz wird noch die bisherige tägliche Eiweißzufuhr von 0,8 g/kg Körpergewicht empfohlen (5-14).

 

Disease Management Programm (DMP) Diabetes:

Behandlung nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft?

Im schriftlichen Informations- und Schulungsmaterial für Ärzte zum Thema DMP, herausgegeben von den Krankenkassen (12), heißt es: „Grundlagen allen therapeutischen Handels sind die evidenzbasierten medizinischen Programmgrundlagen, die Fachleute entwickelt haben… Da sich die medizinischen Erkenntnisse ständig weiterentwickeln, werden die Programmgrundlagen regelmäßig überprüft und bei Bedarf aktualisiert. An dem Programm teilnehmende Ärzte verpflichten sich, nach diesen Grundlagen zu handeln.“

 

Zudem heißt es in den Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes mellitus Typ 2 (Anlage 1, RSAV zu §§ 28 b -28d): „Behandlung nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und unter Berücksichtigung der evidenzbasierten Leitlinien oder nach der jeweils besten verfügbaren Evidenz, sowie unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors (§ 137 f, Abs. 2 Nr. 1 SGB V).“ Weiter wird zur Basistherapie ausgeführt, dass Patientinnen und Patienten mit Typ 2 Diabetes Zugang zu einer qualifizierten krankheitsspezifischen Ernährungsberatung (vor allem Reduktion von Übergewicht) im Rahmen eines strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogramms erhalten. Ziel der Ernährungstherapie ist, wie in der NVL Therapie des Typ 2 Diabetes ausgeführt, ein wünschenswertes Körpergewicht bzw. eine Gewichtsreduktion, welche in der Wahl der Kostform die individuellen Gegebenheiten berücksichtigt.

 

S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“

Bei den praktischen Empfehlungen zur Ernährungstherapie Adipositas (5.20) wird zur Gewichtsreduktion ein stufenweises Vorgehen empfohlen. Neben der Reduktion von Fett und/oder Kohlenhydraten wird Mahlzeitenersatz durch Formula-Produkte wie auch eine zeitlich begrenzte alleinige Ernährung mit Formula unter ärztlicher Aufsicht empfohlen.

 

Die Leitlinie bewertet auch die einzelnen systematisch evaluierten Programme und kommt zu dem Schluss, dass mit konventionellen Programmen eine Gewichtsabnahme von drei bis fünf Kilo zu erreichen ist. Das einzige empfohlene Mahlzeitenersatzprogramm erzielt eine mittlere Gewichtsabnahme von nahezu zehn Kilo. Mit einer niedrig kalorischen reinen Formula-Diät sind Gewichtsabnahmen bis zu 20 Kilo möglich.

 

Ein ärztlich betreutes ambulantes Gewichtsreduktionsprogramm mit Mahlzeitenersatz erzielte bei Typ 2 Diabetikern in 12 Wochen eine mittlere Gewichtsreduktion von 7,7 kg bei 65 % Körperfettreduktion. Dabei besserte sich das HbA1c signifikant von 7,3 auf 6,7 % bei gleichzeitiger Reduktion der diabetisch spezifischen Medikation (13).

 

Neue therapeutische Ansätze

Die nicht alkoholische Fettleber (NAFLD) rückt immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung. „Nicht jeder Adipöse mutiert zum Typ 2 Diabetiker. Adipositas und Bewegungsarmut schaffen zwar ein prädiabetisches Milleu mit vielen metabolischen Störungen“, doch ist laut Prof. Hans Ulrich Häring zu bedenken, „dass neben der metabolisch benignen auch eine metabolisch maligne Adipositas vorkommt. Dieser bösartige Phänotyp der Adipositas ist durch eine ektopische Fettansammlung charakterisiert, die vor allem die Leber bevorzugt“. Prof. Häring bringt es auf den Punkt: „Ohne Fettleber gibt es keinen Typ 2 Diabetes“ (14).

 

E. L. Lim aus der Arbeitsgruppe um Roy Taylor zeigte 2011 (15), dass durch eine Gewichtsabnahme von vier Kilo innerhalb einer Woche durch eine spezielle Very Low Calory Diet (VLCD) der Leberfettgehalt um 30 % sowie der Pankreasfettgehalt um 10 % reduziert werden konnten. Dabei reduzierte sich gleichzeitig die Glukoseabgabe aus der Leber sowie hieraus resultierend der Nüchternblutzucker. Die gestörte frühe wie auch späte Phase der Insulinsekretion der Betazellen konnte nach einer Woche leicht gebessert, nach acht Wochen nahezu normalisiert werden. Seither steht die NAFLD zunehmend im Fokus der Therapie des Typ 2 Diabetes. Menschen mit einer NAFLD haben nahezu unabhängig vom BMI nicht nur ein deutlich erhöhtes Risiko an Typ 2 Diabetes zu erkranken, auch die Mortalität an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen, Krebserkrankungen sowie die Gesamtmortalität sind deutlich erhöht (16).

 

Eine effektive medikamentöse Therapie der nichtalkoholischen Fettleber gibt es bisher nicht. Sportinterventionen zeigten nur marginale Effekte. Am effektivsten ist eine zeitlich begrenzte (zwei Wochen) deutliche Energierestriktion (< 1000 kcal) in Form einer Low Calorie Diet (LCD). Eine Untersuchung der Universität des Saarlandes (17) zeigte innerhalb von 14 Tagen in der Elastrographie, welche ergänzt wurde durch eine CAP-Messung, eine signifikante Besserung durch eine eiweißreiche LCD, welche zusätzlich mit Ballaststoffen sowie leberaktiven Stoffen angereichert war (Leberfasten nach Dr. Worm mit Hepafast). Diese diätetische Intervention verbesserte nicht nur das Körpergewicht, sondern verbesserte gleichzeitig die Körperzusammensetzung und entfettete die Leber (17).

 

Zusammenfassung

Die enorme Zunahme des Typ 2 Diabetes, welche parallel geht mit der Zunahme der Adipositas, stellt eine der großen Herausforderungen der Zukunft für unser Gesundheitssystem dar. Eine optimierte medikamentierte Therapie muss stets durch Lebensstilintervention begleitet werden.


Neben Steigerung der körperlichen Aktivität steht daher die Gewichtsreduktion im Vordergrund. Gerade bei adipösen Patienten haben sich Mahlzeitenersatzkonzepte, insbesondere was die Gewichtsreduktion und die Stoffwechselverbesserung angeht, den konventionellen Programmen als überlegen erwiesen. Im DMP wird zu Recht eine Therapie „nach den evidenzbasierten medizinischen Programmgrundlagen, die Fachleute entwickelt haben“ gefordert.

 

Insbesondere ektopes Fett mit Fetteinlagerungen in der Leber (NAFLD) wie auch Pankreas scheint ursächlich an der Entstehung eines Typ 2 Diabetes beteiligt zu sein. Bei Vorliegen einer NAFLD sollte daher primär eine Entfettung der Leber mit einer 14-tägigen Low Calorie Diet die Gewichtsreduktion einleiten. In der Langzeiternährung ist eine kohlenhydratreduzierte, eiweißoptimierte und fettmodifizierte Kost entsprechend einer modifizierten mediterranen Ernährung zu empfehlen. Diese Gewichtsreduktion und Ernährungsumstellung sollte primär durch Krafttraining und mittelfristig durch Kraft-Ausdauer-Training begleitet werden.

 

Literaturliste

(1) Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2015, Seite 14

(2) IDF Diabetes Atlas (6th ed.) International Diabetes Federation, Brussels, Belgium (2013)

(3) Tamayo T, Rosenbauer J, Wild SH et al. Diabetes in Europe: an update. DiabetesRes Clin Pract. 2014; 103: 206-17)

(4) Danne Th, Siegel E: Nationale Diabetesstrategie: „Alle Zeichen auf Grün!?“ Deutscher Diabetes Gesundheitsbericht Diabetes 2015

(5) Mensink et al.: Bundesgesundheitsbl. 2013; 56:786-794

(6) Larsen et al.: N. Engl. J. Med. 2010; 363: 2102-13

(7) Shai et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 229-41

(8) Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur “Prävention und Therapie der Adipositas“ (Version 2.0, April 2014)

(9) Nationale VersorgungsLeitlinie AWMF: Therapie des Typ-2-Diabetes, Kurzfassung 1. Auflage November 2014, AWMF-Register: Nr. nvl-001g

(10) Layman DK, Clifton P, Gannon MC, Krauss RM, Nuttall FQ: Protein in optimal health: heart disease and type 2 diabetes. Am J Clin Nutr 2008, 87: 1571S-1575S

(11) Walker-Lasker DA, Evans EM, Layman DK: Moderate carbohydrate, moderate protein weight loss diet reduces cardiovascular disease risk compared to high carbohydrate, low protein diet in obese adults: A randomized clinical trial. Nutr & Metab 2008, 5: 30-39

(12) Disease Management Programme (DMP) Gemeinsamer Wegweiser durch die strukturierten Behandlungsprogramme – Schriftliches Informations- und Schulungsmaterial für Ärzte

(13) Walle H et al.: Übergewicht und Typ-2-Diabetes mellitus – Ergebnisse eines ärztlich betreuten, ambulanten Gewichtsreduktionsprogramms bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus. Adipositas 2010; 4: 149-154

(14) Prof. Hans-Ulrich Häring, Tübingen, AdipositasSpektrum, Ausgabe 3-2012 8. Jahrgang